Über eine Südafrikanerin, die in Südtirol ihre Heimat fand.

Sich zuhause zu fühlen und verwurzelt zu sein, ist ein tief sitzendes Gefühl. Aber ist es immer an einen Ort gebunden? Oder kann uns die Heimat von Ort zu Ort begleiten? Heimat als Weggefährte, wie der alte Walnussstuhl der Großmutter oder die Vinylsammlung des älteren Bruders. Seine Schätze, die man früher nie antasten und abtasten durfte, sie aber irgendwann mit einer großzügigen Geste und dem gewohnt verschmitzten Übermut geschenkt bekam. Natürlich, als sich CDs durchsetzten. In der Umzugskiste, die ich in meine erste WG mitnahm, war eine unverwüstliche, gusseiserne Pfanne. Unter dem schweren Deckel geschützt eine handschriftliche Rezeptesammlung voller Familienköstlichkeiten. Ich denke, Heimat ist besonders gut bei einem Leibgericht aus der Kindheit zu schmecken.

In letzter Zeit wurzeln Gummibäume und Geranien wieder im urbanen Trendzuhause. Und erinnern manch einen an früher. Romantische, nostalgische und auch spießige Erinnerungen werden besonders bei der Generation Babyboomer wach. Verstehen Sie mich bitte richtig, es war mit den beginnenden Achtzigern einfach viel wichtiger an Ostern für den Weltfrieden auf die Straße zu gehen. Bergische Waffeln auf einem Balkon voller sprießender Geranien waren einfach undenkbar, die Spitze der Biederkeit. So wollten wir nie werden.

Die aus Südafrika stammende Geranie haben wir aber etwas zu unrecht als Oma-Pflanze tituliert und geächtet. Sie ist eine Heimatlose und hat als solche, vielerorts Asyl gefunden. Das ist ihrer Widerstandskraft und ihrem unermüdlichen Drang zur Blüte zu verdanken. In Südtirol ist sie sogar zum Heimatsymbol geworden. Jedes Jahr aufs Neue entzündet sie sich an Bauern- und Gasthäusern und gehört zum Haus wie das Weihwasserkrüglein in der Stube.

»So reißet vom sonnigen Erker
die letzte brennende Liab;
die Treue zu Deutschland war stärker,
das heiligste, was uns blieb.«

Karl Felderer, Optantengedicht „Brennende Liab“

Die „brennende Liab“ (brennende Liebe) sagen die Südtiroler poetisch zu ihrer Geranie. Karminrot hängen die Blumen über das Fichtengebälk. So war es auch im Juni 1939, als Hitler und Mussolini die Umsiedlung der Südtiroler nach Deutschland beschlossen. Wer bleiben wollte, sollte an Leib und Seele italienisch werden. Die Südtiroler wurden vor die Wahl gestellt: die Heimat verlassen, sprich optieren, oder dableiben? Quer durch die Familien gingen die Diskussionen und – als alle ihre Wahl getroffen hatten – auch die Fronten. Dazwischen blühte die Geranie.

Wer ging und seine Heimat verließ, der nahm Geranien gerne mit, um in der Fremde Verwurzelung zu finden. Meine Duftgeranien aus Südtirol sind hart im Nehmen und bleiben auch im Winter grün. Sie haben auf »balcony« ein neues Zuhause gefunden. Und ich gebe zu, auch bergische Waffeln werden heute zu einem leckeren Kaffee und einem guten Buch gereicht.

»Am Erker blühet wie immer
die leuchtende „Brennende Liab“
die Treue zur Heimat war stärker,
wie jauchzen wir, dass sie uns blieb.«

Hans Egarter, Dableibergedicht „Brennende Liab“

Infos: Optanten/Dableiber (Wikipedia)

Unser Buchtipp zum Thema:
Der Verlust der Heimat, der äußeren und der inneren, hat eine ganze Reihe von Schriftstellern und Schriftstellerinnen von Marco Bolzani bis Joseph Zoderer beschäftigt. Marco Balzano beschreibt in seinem Roman „Ich bleibe hier“ Leid und Vertreibung in Südtirol und das Schicksal einer jungen Lehrerin und einen schicksalsträchtigen Staudammbau.

Ich bleibe hier
Autor: Marco Balzano
Verlag: Diogenes Verlag, Zürich
www.diogenes.ch